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So kurz vor Heiligabend erreichte uns die traurige Nachricht, dass Pfarrerin Dr. h. c. Marie-Claire Barth-Frommel verstorben ist.
Marie-Claire Barth-Frommel, 92, wurde in Genf geboren und studierte an den Universitäten in Genf und Zürich Theologie. Für die Basler Mission reiste sie 1956 im Alter von 29 Jahren erstmals in die indonesische Hauptstadt Jakarta. In dem mehrheitlich muslimischen Land war sie als Studiensekretärin der indonesischen christlichen Studentenbewegung tätig und später auch als Dozentin für Altes Testament und Förderin von Frauen an der kirchlichen Basis. In Indonesien lernte sie ihren späteren Ehemann Christoph Barth kennen, Sohn des Schweizer Theologen Karl Barth und selber Theologe. Gemeinsam haben sie vier Kinder. Mitte der Sechzigerjahre kehrte die Familie zurück nach Europa. Es folgten zwölf Jahre in Mainz, ab 1979 in Basel. Nach dem Tod ihres Ehemannes 1986 reiste sie jedes Jahr für mehrere Monate nach Indonesien, um als Theologiedozentin und Beraterin der kirchlichen Frauenarbeit zu wirken. Für ihr Gesamtwerk erhielt Barth-Frommel 2011 die Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät der Universität Basel. Bis zu ihrem Tod sie als Exegetin und Übersetzerin in Basel.
Folgend ein Artikel vom 25.11.2011,
Anna Wegelin (Onlinereports)
Marie-Claire Barth-Frommel ist eine kleine Frau mit hübschem Gesicht und wachen Augen. Sie lebt mit ihrem jüngsten Sohn in einer hellen Dachwohnung mit Weitsicht im Basler Bachlettenquartier. Auf der einen Seite sieht man bis zum Gempen, auf der anderen ist der Turm der Pauluskirche zu erspähen.
Die 84-jährige Theologin hat um halb sechs Tagwache: Dann fährt jeweils der knatternde Lastwagen vor, der die Frischwaren zum Grossverteiler im Erdgeschoss des Hauses bringt. "Eine Versicherung gegen die Faulheit", so die Schwiegertochter des berühmten Basler Systematikers Karl Barth (1886-1968).
In der Stube, bestückt mit antiken Möbeln aus dem Familienbesitz, tickt die Wanduhr. An der Wand hängt eine Ikone und schräg gegenüber ein grosses Porträt im Biedermeierstil mit ihren Grosseltern. Daneben steht auf dem Fernsehapparat ein kunstvoll gefertigtes, bauchiges Saiteninstrument aus Holz. "Das Geschenk eines indonesischen Freundes", sagt Barth, die während des rund zweistündigen Gesprächs Wollsocken für ihre Enkelkinder strickt: Zehn sind es an der Zahl, vier eigene Kinder hat sie und zwei erwachsene Adoptivsöhne, der eine Schweizer und der andere Indonesier – "sie haben mich zu ihrer Ersatzmutter gemacht", so die Pfarrerin lächelnd.
Jeden Tag denkt sie sich in den fernen Inselstaat, den sie in den Jahren nach der Unabhängigkeit von Holland und auch während der Diktatur von General Suharto kennen lernte. "Ich versuche, jeden Morgen drei bis vier Stunden Schreibtischarbeit zu verrichten", erzählt sie und zeigt ihre jüngste Buchveröffentlichung: Die Lebensgeschichten zweier Frauen der indonesischen Kirche – in Indonesisch.
Diese beiden Biografien sollen andere Frauen ermutigen, sich in der Gesellschaft einzubringen, erklärt Barth: "Es hat auch in Indonesien immer noch viel zu wenig weibliche Vorbilder." Auch sie selber hat ihren beruflichen Weg zunächst alleine beschreiten müssen. Einen mutigen Befreiungsschlag brauchte es dazu, der sie weit weg geführt hat.
"Es mag erstaunen: Aber das "Buch der Bücher" ist für sie bis heute eine ausgesprochen lustvolle Angelegenheit geblieben. Ob im stillen Kämmerlein oder in Gemeinschaft mit anderen: Abenteuerliche Geschichten lesen, unterschiedliche Lesearten entdecken und dann auswählen, was im Kontext und aus dem jeweiligen Moment heraus gerade richtig und wichtig ist – diese offene Form der von Suzanne de Dietrich und Gerhard von Rad inspirierten Bibelarbeit ist für sie geradezu ein Lebenselexir, "stimulierend" und unendlich "kreativ".
Um sich dem Einfluss dieser beiden Gegenpole zu entziehen, fasste sie einen Auslandaufenthalt ins Auge. Mit Empfehlung ihres Vorgesetzten, des Missionstheologen Hendrik Kraemer am Ökumenischen Institut in Bossey bei Genf, wo sie für den Weltkirchenrat dolmetschte, wurde sie schliesslich nach Indonesien ausgesandt. Marie-Claire Barth: "Mein Chef sagte, die Basler Mission ist eine ökumenische Mission, da findest du deinen Platz."
"Natürlich wusste ich, dass Christoph mein Vorgesetzter werden würde", erinnert sie sich: "Aber es war mir auch klar, dass Witschi damit auch etwas anderes meinte." Ihre Kollegen in Indonesien hätten ihre Heirat im Voraus geplant, erzählt sie: "So wurde ich die letzte Braut, die die Basler Mission aussandte." An Weihnachten 1957 gaben sich Marie-Claire Frommel und Christoph Barth in Jakarta das Jawort: "Und es war richtig so."
1959 kam ihr ältester Sohn Daniel zur Welt; er praktiziert heute als Kinderpsychiater und Psychoanalytiker in Basel. Danach folgten Nicolas und Catherine Schlag auf Schlag. Aber eine Babypause einlegen – das kam für sie nicht in Frage. Denn sie wollte ihren Lehrauftrag am Theologischen Seminar in Jakarta keinesfalls aufgeben. Daniel sei gerade mal sechs Tage alt gewesen, erzählt sie, als sie ihn an eine Sitzung mitnahm. "Nur durften meine Kollegen nicht rauchen", meint sie schmunzelnd. Daheim putzte und kochte eine Haushaltshilfe, und die 15-jährige Pflegetochter hütete ihre kleinen Geschwister auf Zeit: In Indonesien, wo Gemeinschaft und Familie einen hohen Stellenwert hätten, sei dies selbstverständlich, so Barth.
Noch heute schmerzt es sie, dass seine Kollegen überhaupt kein Interesse für Indonesien bzw. die indonesische Theologie hatten, die sie als ein Produkt von "Wilden" abgetan hätten. Zurück in Basel, wo sie 1980–1983 als "Heimatreferentin" in der Leitung der Basler Mission beharrlich für die Anliegen von Frauen einstand und anschliessend als Gemeindepfarrerin der reformierten Stephanusgemeinde (St. Leonhard) wirkte, hatte zuerst ihr jüngster Sohn Tom einen schweren Unfall. Als 1986 ihr Mann an Krebs starb, musste sie sich ihr Leben von Grund auf neu zurechtlegen: "Die Kinder brauchten mich und ich war froh, mit Arbeit ausgelastet zu sein", sagt sie.
Über einen Einsatz als Dolmetscherin für einen indonesischen Delegierten – er war in die Schweiz gekommen, um mit der Basler Mission neue Partnerschaftsverträge auszuhandeln – erhielt sie das Angebot, abermals in ihre zweite Heimat zu reisen. 20 solcher Arbeitsaufenthalte an je drei bis vier Monaten, bei denen sie als Theologiedozentin und Beraterin der kirchlichen Frauenarbeit wirkte, sind es bis 2009 geworden. Dies sei wohl ihre letzte Reise in ihre zweite Heimat gewesen, meint Barth. Achtzig Jahre sei eine gute Zeit um aufzuhören, und sie wisse nicht, ob ihr Körper dies nochmals mitmache.
Sie ihrerseits ist vielen zur "Mutter" geworden – nicht im sentimentalen Sinn, erklärt sie, sondern als "erwachsene Frau mit Verantwortung für die nächste Generation". Barth gilt deshalb in der ost-indonesischen Kirche als Grand Old Lady der feministischen Theologie, die jüngere Menschen, insbesondere Frauen fördert und ermutigt, ihren eigenen Weg zu beschreiten. Ihr jahrzehntelanges Wirken hat wesentlich dazu beigetragen, dass mehr Frauen Theologie studieren und es später als Pfarrerin oder Kirchenleiterin zu etwas bringen – "auch wenn die Männer immer noch entscheiden", so die Ehrendoktorin.
Ihre eigene Theologie – ökumenisch, offen-liberal und in der Bibel verwurzelt – ist die logische Konsequenz dieses jahrzehntelangen interkulturellen Engagements. Natürlich habe sie sich auch mit den Schriften ihres Schwiegervaters Karl Barth auseinandergesetzt, sagt Marie-Claire Barth: "Aber wirklich systematisch zu denken, ist nicht meine Stärke." Sie dagegen sei als Mensch und Theologin "rezeptiv": "Ich kann nur Christ sein im Teilen mit anderen Menschen."
EHRENDOKTORIN
Die Theologische Fakultät der Universität Basel überreichte 2011 die Würde einer Doktorin der Theologie ehrenhalber an Marie-Claire Barth-Frommel von Basel,
die sich über Jahrzehnte in der Ausbildung von Theologinnen und Theologen in Indonesien engagiert hat, an verschiedenen Hochschulen dort lehrte, zahlreiche wissenschaftliche Kommentare zu Büchern des Alten Testaments in indonesischer Sprache verfasste und damit die theologische Lehre in diesem Fach auf eine akademisch fundierte Grundlage gestellt hat;
die tatkräftig für ein friedliches Zusammenleben zwischen Muslimen und Christen in Indonesien eingetreten ist, den Schutz der christlichen Minderheit gefordert und bedrängten Christen Beistand geleistet hat;
die sich im Rahmen ihrer Arbeit bei der Basler Mission mit sanfter Beharrlichkeit für die Rechte von Frauen eingesetzt und zahlreiche Theologinnen in Indonesien und Malaysia gefördert hat, die nun auf verschiedenen Ebenen als "agents of change" in ihren Kirchen und in der Gesellschaft ihrer Länder wirken.
Zeit Online Interview mit Marie-Claire Barth-Frommel und ihrem Sohn Daniel Barth, Oktober 2018
Zum Muttertag ein Statement von Marie-Claire Barth-Frommel
Marie-Claire Barth-Frommel hält 2017 in Indonesien eine Vorlesung über das Buch Hiob auf indonesisch: